Fleischverzicht und andere narzisstische Störungen

Liebe Artgenossinnen und Artgenossen,

 

ich bin keine besonders aktive Bloggerin, dafür habe ich einfach zu viel um die Ohren. Im Moment stecke ich zum Beispiel meine gesamte Zeit und Energie in den Bau des Tempels, der mir zu Ehren in meinem Heimatdörfchen errichtet werden soll.

Das heißt: Eigentlich kämpfe ich ja noch um die Baugenehmigung. Leider hat nämlich noch nicht jeder von den bösen, skrupellosen Fleischessern in der Gemeinde verstanden, dass ich als Veganerin einfach aus Prinzip meinen eigenen Tempel verdiene. Aber was habe ich erwartet, der Dorfpfarrer ist ja nicht einmal bereit dazu, in seiner Predigt zur Abwechslung mal mir zu huldigen. Oooh, seht mich an, ich bin Jesus und habe die Menschheit vor zweitausend Jahren von ihren Sünden befreit. Toll, und weiter? Ich habe heute Morgen immerhin Müsli mit REISMILCH gegessen und mir baut keiner eine Kirche.

… nur eine von vielen Fantasien, wie sich der ein oder andere Fleischesser mein Leben und Denken als Veganerin vorstellt, wenn auch nicht die schmutzigste (*kicher*). Aber es stimmt, oder? Wir Vegetarier und Veganer sind arrogante, selbstverliebte Narzissten, um die sich alles drehen muss, nur weil wir halt aufgehört haben, Tiere zu essen. Das ist doch keine Leistung, dafür kriegen wir sicher nicht eure Anerkennung.

Tosender Beifall. Jemand aus der dritten Reihe hat sein Woran-erkennt-man-einen-Veganer-Shirt ausgezogen und schwingt es grölend über seinem Kopf. Ich lächle großzügig und warte kurz, bis sich die Menge wieder etwas beruhigt hat, bevor ich mit der wichtigsten Message des Abends fortfahre.

Liebe Vegetarierinnen und Vegetarier, liebe Veganerinnen und Veganer – unsere maßlose Arroganz und unser chronischer Selbstdarstellungszwang stellen eine große Bedrohung für die Psyche und Gesundheit des normalen Teils der Bevölkerung dar, die auf Dauer einfach nicht tragbar ist. Habt ihr euch in eurem rasenden Egoismus eigentlich irgendwann auch einmal gefragt, welches Trauma der Anblick einer unbedeckten Tofuwurst auf einem normalen Grill bei einem normalen Menschen während einer normalen Grillparty auslösen kann? Dass der militant-vegane Verzicht auf ein normales Stück eines normalen Geburtstagskuchens bleibende Schäden bei allen normalen Anwesenden hinterlassen kann?

Ich appelliere hiermit an euer gutes Gewissen, an eure Moral – wir dürfen nicht zulassen, dass sich normale Menschen nachts in den Schlaf weinen müssen, weil sich ein militanter Veganer am benachbarten Tisch im Café rücksichtslos einen Sojacappuchino bestellt hat. Wir dürfen nicht zulassen, dass unsere verdorbenen Kinder normalen Kindern einreden, dass in der normalen Wurst auf ihrem normalen Wurstbrot tote Tiere stecken. Wir dürfen vor allem nicht zulassen, dass durch unsere bloße Anwesenheit normale Menschen in einen Konflikt mit ihrem Gewissen geraten. Der Mensch hat gerade erst gelernt, dass es auf Bio-Bauernhöfen lachende Schweine gibt, die auf sonnigen Wiesen tollen und eines Tages wie durch Magie als fertig abgepacktes Steak aufwachen; dass man toll Wasser sparen kann, wenn man beim Zähneputzen den Wasserhahn zudreht; dass man den Klimawandel mit Energiesparlampen im Handumdrehen aufhalten kann. Wir dürfen ihn jetzt nicht mit Dingen wie pflanzlicher Ernährung, die unnötiges Tierleid und den eigenen ökologischen Fußabdruck auf ein Minimum reduziert, verwirren.

Besonders überdurchschnittlich normale Menschen verstört der vegane Lebensstil tatsächlich so sehr, dass sie keine Bewegung eines Veganers unkommentiert lassen können und jedes als vegan gekennzeichnete Produkt und jede Kritik an Fleischkonsum als persönlichen Angriff werten, der mithilfe verzweifelter Rechtfertigungsversuche abgewehrt werden muss. Ihre empfindlichen Sinne registrieren jedes Zeichen der fortschreitenden Veganisierung des Abendlandes, auf die sie in Sekundenschnelle mit Besorgnis und begründeter Angst um ihre Existenz reagieren. Aus diesem Grund müssen wir, die wir noch über einen Rest moralischen Verantwortungsgefühls verfügen, erheben und uns klar von den arroganten Missionaren unserer Spezies distanzieren.

Ich habe über Wochen hinweg an einem Knigge für bescheidene und fromme Veganer gearbeitet, den ich euch heute vorstellen möchte. Wenn wir alle an einem Strang ziehen und uns zusammenreißen, können wir gemeinsam dafür sorgen, dass die bequeme Verdrängungstaktik normaler Menschen ihnen auch weiterhin ein normales, mit dem eigenen Gewissen vereinbares Dasein beschert.

 

 

GUIDE: How to avoid being an arrogant veg(etari)an at social events

  • Nimm das Wort “vegan/vegetarisch” unter keinen Umständen in den Mund. Behaupte stattdessen, dass du allergisch gegen Fleisch, Geflügel, Fisch, Milch und/oder Eier bist.
  • Wenn du gefragt wirst, warum du nichts isst
    • Sage, dass der Gastgeber ein unfassbar schlechter Koch ist und du dir keine Lebensmittelvergiftung holen willst
    • Erfinde eine Darmspiegelung, die am nächsten Tag stattfinden wird
    • Behaupte, dass du dringend auf die Toilette gehen musst und komme nicht wieder
    • Behaupte, dass du dringend auf die Toilette gehen musst und trage eine Perücke sowie einen falschen Schnauzbart, wenn du zurückkommst
  • Wenn dich jemand auf dein mitgebrachtes Essen anspricht…
    • Behaupte, dass dich die miserablen Kochkünste des Gastgebers beim letzten Mal fast umgebracht hätten und du einfach auf Nummer sicher gehen willst
    • Erzähle ihm von deinem arroganten, veganen Freund, der vor einer Woche an den Spätfolgen extremer Mangelerscheinungen gestorben ist und dir eine Kiste Tofuwürste vermacht hat, um dich posthum missionieren zu können
    • Tue so, als würdest du eine andere Sprache sprechen
    • Übermanne die Person in einem unbeobachteten Moment und beseitige alle Spuren
  • Ernähre dich auf der Feier vor allem von Lebensmitteln, die für das ungeschulte Auge gar nicht vegan und unnormal aussehen (z.B. Salat, Obststückchen und Gemüsespieße)
  • Falls alle Stricke reißen: Erfinde eine Religion, die es dir nicht erlaubt, tierische Produkte zu konsumieren. Normale Menschen haben in der Regel wesentlich größeren Respekt vor den willkürlichen Vorschriften einer Sagengestalt als vor den ethischen Überzeugungen ihrer Mitmenschen.
  • Falls du tatsächlich entlarvt werden solltest, lenke sofort von dir ab und betone stattdessen, wie schlimm du Fleisch aus Massentierhaltung findest. Normale Menschen reden gerne darüber, dass sie nur beim Dorfmetzger oder der Fleischtheke im Biomarkt einkaufen; besonders dann, wenn sie sich gerade ein Billigschnitzel unbekannter Herkunft in den Mund schieben.

4 Gedanken zu “Fleischverzicht und andere narzisstische Störungen

  1. […] saatgutmensch hat sich wieder gedanken über veganer und vegetarier gemacht:“Ich habe über Wochen hinweg an einem Knigge für bescheidene und fromme Veganer gearbeitet, den ich euch heute vorstellen möchte. Wenn wir alle an einem Strang ziehen und uns zusammenreißen, können wir gemeinsam dafür sorgen, dass die bequeme Verdrängungstaktik normaler Menschen ihnen auch weiterhin ein normales, mit dem eigenen Gewissen vereinbares Dasein beschert.” zum originalbeitrag […]

    Gefällt 1 Person

Hinterlasse einen Kommentar