Phytopsychologen und andere Helden der Gesellschaft

Liebe Artgenossinnen und Artgenossen,

heute habe ich euch eine von diesen duften pädagogischen Meditationsgeschichten mitgebracht, die man sich früher immer in der Grundschule anhören musste, während man insgeheim eigentlich viel lieber Wände bemalt oder etwas in Brand gesteckt hätte. Wie ihr wisst, sind viele von uns Vegs (eigentlich alle, wenn wir mal ehrlich sind) doofe Heuchler. Und kaltblütig noch dazu. Oder warum ernähren wir uns sonst von Pflanzen, wo die doch so empfindsame, sensible Wesen sind? ….was sagt ihr da? Nur Lebewesen mit Schmerzrezeptoren, einem zentralen Nervensystem und einem Gehirn sind in der Lage, Schmerzen zu empfinden? So ein Unfug. So, und jetzt Augen zu und entspannt euch gefälligst!

* eine CD wird eingelegt. Sanftes Meeresrauschen, Vogelgezwitscher und eine Panflöte.*

„Ein schriller Ton reißt dich aus dem Schlaf. Du schreckst hoch, sinkst aber sogleich stöhnend und mit schmerzerfülltem Gesicht zu Boden. In deinem Kopf dröhnt alles und das furchtbare Pfeifen im Hintergrund macht die ganze Sache auch nicht gerade besser. Du schließt die Augen und bleibst einen Moment auf dem Boden liegen; nach einigen Sekunden versuchst du noch einmal, dich aufzurichten.

Während sich deine Augen an das schummrige Licht gewöhnen, blickst du dich langsam um. Es scheint, als wärst du in einer Art Keller gelandet: Du sitzt auf einem kalten, verdreckten Betonboden; an der unverputzten Wand sind Rohre befestigt, aus denen eine durchsichtige Flüssigkeit tropft; die einzige Lichtquelle im Raum ist eine Glühbirne, die nackt von der Decke hängt und einsam vor sich hin flackert. Wo bin ich denn jetzt schon wieder gelandet, denkst du dir und ärgerst dich innerlich darüber, dass du es bei der Party am Tag zuvor wieder einmal maßlos mit dem Alkohol übertrieben hast. Du bist so in Gedanken versunken, dass du zusammenzuckst, als sich plötzlich etwas neben dir bewegt. Als du zur Seite blickst, siehst du in die (noch schlafenden) Augen einer jungen Frau von einzigartiger Schönheit, Anmut und Grazie. Du freust dich zwar, dass du wohl doch nicht ganz alleine an diesem seltsamen Ort bist und dass deine Begleitung zudem noch so außerordentlich schön, anmutig und grazil ist, gleichzeitig hast du für einen Moment ein mulmiges Gefühl bei der Sache.

Kurzerhand schluckst du deine Bedenken herunter und schüttelst an der (schlanken, feenhaften) Schulter. Mit einem genüsslichen, jedoch eleganten Gähnen wacht die Person neben dir auf und blickt dich verwundert an: „Was ist passiert?“

Du zuckst hilflos mit den Schultern.

„Wir sind in einem Horrorfilm“, beschließt sie, nachdem sie sich ebenfalls kurz umgesehen hat. „Jemand hat uns entführt und jetzt müssen wir uns wahrscheinlich gegenseitig Körperteile abschneiden.“

Du bist dir nicht ganz sicher, ob sie das wirklich ernst meint, deine Augen suchen den Raum aber bereits unbewusst nach potentiellen Waffen ab.

„Ich möchte ein Spiel spielen“, tönt plötzlich eine verzerrte Stimme tönt aus einem Lautsprecher an der Decke.

„Wusste ich es doch!“, flüstert deine Mitgefangene mit einem unheimlichen (und gleichzeitig charmanten) Grinsen, das dir einen gewaltigen Schauer über den Rücken jagt.

„Hinter der Tür zu eurer Rechten“, fährt die Stimme fort, „befinden sich zwei weitere Gefangene. Die beiden haben allerdings nicht so viel Glück wie ihr, wie ihr gleich sehen werdet. Es liegt in eurer Hand, wer stirbt – und wer überlebt.“ Begleitet von einem wahnsinnigen Lachen aus dem Lautsprecher springt die Tür mit einem lauten Knall auf. Ohne zu zögern rennt ihr los.

Deine Leidensgenossin stürmt den Raum als erstes. „Wir retten das Schwein!“, ruft sie entschlossen, bevor du etwas sagen kannst, und eilt zu dem quiekenden Tier, das panisch mit den Beinen strampelt, als könnte es dadurch der kreischenden Kettensäge, über der es baumelt, entkommen. „Willst du mir vielleicht mal helfen?“

Und in diesem Moment dämmert es dir. Bei der attraktiven, hinreißenden jungen Dame handelt es sich in Wahrheit um diese militante, vegane Bloggerin, mit der du dich gestern Abend angelegt hast. Nüchtern betrachtet sieht sie zugegeben gar nicht besonders fanatisch oder vegan aus, deshalb hast du sie auch nicht sofort erkannt. Aber dieser missionarische Eifer, mit dem sie an den Seilen, an denen das Schwein befestigt ist, zerrt, lässt keinen Raum für Spekulation.

Wann haben wir uns denn bitte darauf geeinigt, dass wir das verdammte Schwein retten? Komm mal wieder runter, das wird sowieso geschlachtet. Du lächelst triumphierend. Von einer Veganerin lässt du dir sicher nichts vorschreiben.

Sie dreht sich ungläubig zu dir um. „Bist du eigentlich komplett bescheuert? Willst du lieber den Blumenkohl retten oder was?“

In diesem Moment bemerkst du den Blumenkohl, der unscheinbar in der anderen Ecke des Raumes hängt und ebenfalls gefährlich knapp über einer Kettensäge schaukelt. Du trittst näher an die Pflanze heran. Sie scheint sich nicht sonderlich für dich oder die Säge unter ihr zu interessieren und nascht unbeeindruckt einige Sonnenstrahlen, die sich ihren Weg durch das verriegelte Fensterchen an der Außenwand gebahnt haben.

„Kannst du mir jetzt bitte mal mit den Seilen helfen?“, hörst du es militant von der anderen Seite des Raumes rufen.

Pflanzen haben auch Gefühle, schreist du zurück. Manche Arten können Schmerz empfinden und auf äußere Einflüsse reagieren. Du spürst, wie deine Brust selbstgefällig anschwillt. Phytopsychologie und Pflanzenrechte sind eben dein Spezialgebiet, schließlich hat neulich irgendein Facebook-Freund einen Artikel über Brunnenkresse geteilt, dessen Überschrift du gelesen hast. Da kann dir keine doofe Veganerin was vormachen.

Die Essgestörte starrt dich einige Sekunden an und spricht dann mit langsamer, eindringlicher Stimme, als würde sie mit einem kleinen Kind reden: „Das Schwein hat Todesangst und schreit um sein Leben.“

Natürlich bist du kein kleines Kind und willst dich auch nicht wie eines behandeln lassen. Angestrengt starrst du den Blumenkohl an. Du hast plötzlich den Eindruck, dass die Pflanze angesichts der kreischenden Bedrohung unter ihr immer schneller Photosynthese betreibt und aus lauter Angst vor dem nahenden Ende schon ganz welke Blätter bekommt.

Keine Angst, mein Kleiner, ich lasse dich nicht hängen. Mit beruhigender Stimme redest du auf das verschreckte Pflänzchen ein und streckst die Hand nach ihm aus, als plötzlich das Seil nachgibt und der Blumenkohl zerteilt wird. Im nächsten Moment rennt ein aufgewühltes Schwein an dir vorbei.

„Game over“, ertönt es aus dem Lautsprecher.“

Fleischverzicht und andere narzisstische Störungen

Liebe Artgenossinnen und Artgenossen,

 

ich bin keine besonders aktive Bloggerin, dafür habe ich einfach zu viel um die Ohren. Im Moment stecke ich zum Beispiel meine gesamte Zeit und Energie in den Bau des Tempels, der mir zu Ehren in meinem Heimatdörfchen errichtet werden soll.

Das heißt: Eigentlich kämpfe ich ja noch um die Baugenehmigung. Leider hat nämlich noch nicht jeder von den bösen, skrupellosen Fleischessern in der Gemeinde verstanden, dass ich als Veganerin einfach aus Prinzip meinen eigenen Tempel verdiene. Aber was habe ich erwartet, der Dorfpfarrer ist ja nicht einmal bereit dazu, in seiner Predigt zur Abwechslung mal mir zu huldigen. Oooh, seht mich an, ich bin Jesus und habe die Menschheit vor zweitausend Jahren von ihren Sünden befreit. Toll, und weiter? Ich habe heute Morgen immerhin Müsli mit REISMILCH gegessen und mir baut keiner eine Kirche.

… nur eine von vielen Fantasien, wie sich der ein oder andere Fleischesser mein Leben und Denken als Veganerin vorstellt, wenn auch nicht die schmutzigste (*kicher*). Aber es stimmt, oder? Wir Vegetarier und Veganer sind arrogante, selbstverliebte Narzissten, um die sich alles drehen muss, nur weil wir halt aufgehört haben, Tiere zu essen. Das ist doch keine Leistung, dafür kriegen wir sicher nicht eure Anerkennung.

Tosender Beifall. Jemand aus der dritten Reihe hat sein Woran-erkennt-man-einen-Veganer-Shirt ausgezogen und schwingt es grölend über seinem Kopf. Ich lächle großzügig und warte kurz, bis sich die Menge wieder etwas beruhigt hat, bevor ich mit der wichtigsten Message des Abends fortfahre.

Liebe Vegetarierinnen und Vegetarier, liebe Veganerinnen und Veganer – unsere maßlose Arroganz und unser chronischer Selbstdarstellungszwang stellen eine große Bedrohung für die Psyche und Gesundheit des normalen Teils der Bevölkerung dar, die auf Dauer einfach nicht tragbar ist. Habt ihr euch in eurem rasenden Egoismus eigentlich irgendwann auch einmal gefragt, welches Trauma der Anblick einer unbedeckten Tofuwurst auf einem normalen Grill bei einem normalen Menschen während einer normalen Grillparty auslösen kann? Dass der militant-vegane Verzicht auf ein normales Stück eines normalen Geburtstagskuchens bleibende Schäden bei allen normalen Anwesenden hinterlassen kann?

Ich appelliere hiermit an euer gutes Gewissen, an eure Moral – wir dürfen nicht zulassen, dass sich normale Menschen nachts in den Schlaf weinen müssen, weil sich ein militanter Veganer am benachbarten Tisch im Café rücksichtslos einen Sojacappuchino bestellt hat. Wir dürfen nicht zulassen, dass unsere verdorbenen Kinder normalen Kindern einreden, dass in der normalen Wurst auf ihrem normalen Wurstbrot tote Tiere stecken. Wir dürfen vor allem nicht zulassen, dass durch unsere bloße Anwesenheit normale Menschen in einen Konflikt mit ihrem Gewissen geraten. Der Mensch hat gerade erst gelernt, dass es auf Bio-Bauernhöfen lachende Schweine gibt, die auf sonnigen Wiesen tollen und eines Tages wie durch Magie als fertig abgepacktes Steak aufwachen; dass man toll Wasser sparen kann, wenn man beim Zähneputzen den Wasserhahn zudreht; dass man den Klimawandel mit Energiesparlampen im Handumdrehen aufhalten kann. Wir dürfen ihn jetzt nicht mit Dingen wie pflanzlicher Ernährung, die unnötiges Tierleid und den eigenen ökologischen Fußabdruck auf ein Minimum reduziert, verwirren.

Besonders überdurchschnittlich normale Menschen verstört der vegane Lebensstil tatsächlich so sehr, dass sie keine Bewegung eines Veganers unkommentiert lassen können und jedes als vegan gekennzeichnete Produkt und jede Kritik an Fleischkonsum als persönlichen Angriff werten, der mithilfe verzweifelter Rechtfertigungsversuche abgewehrt werden muss. Ihre empfindlichen Sinne registrieren jedes Zeichen der fortschreitenden Veganisierung des Abendlandes, auf die sie in Sekundenschnelle mit Besorgnis und begründeter Angst um ihre Existenz reagieren. Aus diesem Grund müssen wir, die wir noch über einen Rest moralischen Verantwortungsgefühls verfügen, erheben und uns klar von den arroganten Missionaren unserer Spezies distanzieren.

Ich habe über Wochen hinweg an einem Knigge für bescheidene und fromme Veganer gearbeitet, den ich euch heute vorstellen möchte. Wenn wir alle an einem Strang ziehen und uns zusammenreißen, können wir gemeinsam dafür sorgen, dass die bequeme Verdrängungstaktik normaler Menschen ihnen auch weiterhin ein normales, mit dem eigenen Gewissen vereinbares Dasein beschert.

 

 

GUIDE: How to avoid being an arrogant veg(etari)an at social events

  • Nimm das Wort “vegan/vegetarisch” unter keinen Umständen in den Mund. Behaupte stattdessen, dass du allergisch gegen Fleisch, Geflügel, Fisch, Milch und/oder Eier bist.
  • Wenn du gefragt wirst, warum du nichts isst
    • Sage, dass der Gastgeber ein unfassbar schlechter Koch ist und du dir keine Lebensmittelvergiftung holen willst
    • Erfinde eine Darmspiegelung, die am nächsten Tag stattfinden wird
    • Behaupte, dass du dringend auf die Toilette gehen musst und komme nicht wieder
    • Behaupte, dass du dringend auf die Toilette gehen musst und trage eine Perücke sowie einen falschen Schnauzbart, wenn du zurückkommst
  • Wenn dich jemand auf dein mitgebrachtes Essen anspricht…
    • Behaupte, dass dich die miserablen Kochkünste des Gastgebers beim letzten Mal fast umgebracht hätten und du einfach auf Nummer sicher gehen willst
    • Erzähle ihm von deinem arroganten, veganen Freund, der vor einer Woche an den Spätfolgen extremer Mangelerscheinungen gestorben ist und dir eine Kiste Tofuwürste vermacht hat, um dich posthum missionieren zu können
    • Tue so, als würdest du eine andere Sprache sprechen
    • Übermanne die Person in einem unbeobachteten Moment und beseitige alle Spuren
  • Ernähre dich auf der Feier vor allem von Lebensmitteln, die für das ungeschulte Auge gar nicht vegan und unnormal aussehen (z.B. Salat, Obststückchen und Gemüsespieße)
  • Falls alle Stricke reißen: Erfinde eine Religion, die es dir nicht erlaubt, tierische Produkte zu konsumieren. Normale Menschen haben in der Regel wesentlich größeren Respekt vor den willkürlichen Vorschriften einer Sagengestalt als vor den ethischen Überzeugungen ihrer Mitmenschen.
  • Falls du tatsächlich entlarvt werden solltest, lenke sofort von dir ab und betone stattdessen, wie schlimm du Fleisch aus Massentierhaltung findest. Normale Menschen reden gerne darüber, dass sie nur beim Dorfmetzger oder der Fleischtheke im Biomarkt einkaufen; besonders dann, wenn sie sich gerade ein Billigschnitzel unbekannter Herkunft in den Mund schieben.

Veganer und andere Probleme unserer Wohlstandsgesellschaft

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Liebe Artgenossinnen und Artgenossen,

da ich jetzt ein paar Stunden pro Woche als Hiwi an der Uni arbeite, habe ich endlich genug Geld, um mir die mit Blattgold ummantelten, veganen Luxus-Fleischersatz-Steaks vom Abzock-Bio-Discounter meines Vertrauens leisten zu können. Vorbei sind die Zeiten, in denen ich meinen Hunger noch mit Gras und Wurzeln aus dem Vorgarten stillen musste, gewürzt mit den bitteren Tränen meines Zorns über die bunte Lebensmittelvielfalt der Omnivoren!

„Was soll die Häme?“, höre ich einen Beamten der Dekadenz-Polizei in der vordersten Reihe protestieren, „Sojamilch für zwei Euro, veganer Lachs für fünf und Käse für sechs Euro ist doch wirklich maßlos!“

Bevor ich antworten kann, bemerke ich, wie sich ein Mann in der letzten Reihe langsam erhebt und Richtung Bühne schreitet. Sein Gesicht ist verhüllt, er trägt einen langen Mantel. Ich reiße die Augen weit auf und atme tief ein. Oh süßer Duft von fair-trade Kleidung aus Bio-Baumwolle! Könnte es wirklich sein…?

„Uns ist zu Ohren gekommen, dass Eure Hauptnahrungsquelle ab sofort künstliche Truthahnimitate für 50 Euro das Stück sein werden“, spricht der Fremde mit mächtiger Stimme, „Deshalb haben die Vorsitzenden des CNVVBOBZR beschlossen, Euch als neues Mitglied in ihre Reihen aufzunehmen. Ich habe die Ehre, Euch hier vor allen feierlich zum Wohlstandsproblem zu ernennen.“ Mein Herz bleibt für einen Augenblick stehen. Der CNVVBOBZR, der Club der neureichen, verwöhnten Vegano-Bonzen ohne Bezug zur Realität, will ausgerechnet mich? Dabei habe ich doch erst neulich meine Ausgaben für Essen…

Als ich mit einem seligen Lächeln in die Knie gehe, damit mir der ehrwürdige Vegano-Meister zeremoniell das Haupt mit Tofu salben kann, fällt mir ein zusammengeknüllter Zettel aus der Hosentasche. Ich zucke zusammen. Hektisch greife ich danach und versuche, ihn unauffällig verschwinden zu lassen – doch es ist zu spät. „Was ist das?“, brüllt mein Gegenüber und reißt mir das fatale Beweisstück aus der Hand. Während er mit donnernder Stimme vorliest, sinke ich vor Scham zu Boden und vergrabe mein Gesicht in den Händen.

„Ich habe ein dunkles Geheimnis. Jede Nacht weine ich mich in den Schlaf, weil ich es einfach nicht schaffe, ein normaler, degenerierter Veganer zu sein. Alle sagen mir, dass Veganer der Verschwendungssucht frönen und Ihr gesamtes Geld für überteuerte Nahrungsmittel verprassen; man erklärt mir, ich verschmähe gutes, billiges Supermarktessen, für das die hungernden Kinder in Afrika ihr letztes Hemd hergeben würden, und kaufe stattdessen nur pflanzliche Ersatzprodukte zu exorbitanten Preisen, für die man ganzes Obdachlosenheime bauen könnte.

Ich gebe mir so viel Mühe, eure Erwartungen zu erfüllen, habe sogar ein dekadentes Gemüsekisten-Abo bei einer Bio-Gärtnerei in der Region abgeschlossen und trinke in der Woche einen ganzen Liter Hafermilch. Aber ich schaffe es einfach nicht, mehr als fünf Euro pro Tag für Essen auszugeben. Dabei hat das doch immer so toll geklappt, als ich noch Fleisch gegessen habe! Wie all die anderen omnivoren Menschen in meinem Bekanntenkreis habe auch ich nur Bio-Fleisch von totgestreichelten Tieren mit ausformulierten Lebenslauf gekauft (z.B. ein Hähnchen für knapp 30€ = zwei Bio-Gemüsekisten) und konnte so locker auf den 1,5-fachen Betrag meiner jetzigen Ausgaben kommen. Sogar bei Aldi war das Fleisch immer teurer als die gleiche Menge Gemüse, Reis oder Nudeln!

Auch wenn ich mit Freunden ins Restaurant gehe, bin ich in der Regel diejenige, die am wenigsten für ihr Essen bezahlt – und das obwohl ich doch nur ganz hippe Vegan-Gerichte (Nudeln mit Asia-Gemüse, bunter Bauernsalat, Veggie-Sushi) bestelle. Einmal habe ich sogar versucht, ganz rotzfrech ein Gericht mit Fleischbeilage in vegan zu bestellen (könnte ich die 43 ohne Steak bekommen und dafür ein bisschen mehr Kartoffeln und Gemüse?). Der Schock kam mit der Rechnung – dank meiner Extra(tofu)wurst durfte ich gerade einmal die Hälfte des ursprünglichen Preises bezahlen.

Ich bin so verzweifelt und weiß nicht weiter. Ich will doch nur ein ganz normaler Veganer sein!“

„Narr!“, fährt mich der Großmeister an, „Ihr musst natürlich morgens, mittags und abends ausschließlich Fleischimitate konsumieren, wie es von Euch erwartet wird! Mich dünkt, Ihr scheint nicht zu begreifen, was es bedeutet, vegan zu sein. Wem wollt Ihr denn weismachen, dass der Verzehr von einfachen Lebensmitteln wie Gemüse, Reis, Getreideprodukten, Hülsenfrüchten und Obst abwechslungsreich und ausgewogen ist?.“ Dann macht es einen lauten Knall und er verschwindet in einer Wolke aus Seitan-Pulver. Tränen der Ohnmacht und Verzweiflung beginnen, über meine heißen Wangen zu strömen.

Im Saal herrscht Totenstille. „Das ist alles so unfair!“, flüstere ich mit zittriger Stimme. „Ich bin völlig umsonst Veganerin geworden. Ich wollte doch einfach nur zum degenerierten Teil der Gesellschaft gehören. Aber mir ist inzwischen so vieles klar geworden. Machen wir uns nichts vor, selbst wenn ich jeden Tag Tofu-Schnitzel essen würde – mit dem Verschwendungspotential der Nutztierindustrie, die ein Drittel der weltweiten Getreideernte an Tiere verfüttert, während jeder neunte Mensch auf der Erde Hunger leidet, werde ich nie mithalten können. Ich verneige mich ehrfurchtsvoll vor diesem Können und gebe mich offiziell geschlagen.“

In diesem Sinne: Ich gebe auf. So schlecht haben das Gras und die Wurzeln sowieso nicht geschmeckt.

 

Fleischessende Tierfreunde und andere Wunder der Natur

Liebe Artgenossinnen und Artgenossen,

es ist wirklich eine nette Geste von euch, wenn ihr mich umgehend darüber in Kenntnis setzt, dass ihr ausschließlich Bio-Fleisch esst, natürlich nur von Metzgern eures Vertrauens und sowieso nur dann, wenn ihr vor lauter Eisenmangel kaum noch aufrecht laufen könnt. Ehrlich, ich finde es drollig, wie doll ihr euch darum bemüht, dass ich euch trotzdem mag. Und wenn ihr ansonsten nette, anständige Menschen seid, sehe ich gar keinen Grund, warum ich das nicht tun sollte. Nicht einmal mit meinen veganen Freunden bin ich immer einer Meinung und das ist vollkommen in Ordnung.

Ja, ob man Fleisch isst oder nicht ist tatsächlich eine Meinung; eine persönliche Entscheidung, die jeder für sich selbst treffen muss, auch wenn es natürlich Vegetarier und Veganer gibt, die das anders sehen. Das Gesetz hat aber nun einmal irgendwann festgelegt, dass Tieren weitaus weniger Rechte zustehen als Menschen, deshalb bleibt mir gar nichts anderes übrig als eure kulinarisch motivierten Auftragsmorde zu tolerieren und im Stillen zu hoffen, dass ihr einfach irgendwann von alleine mit dem Fleischessen aufhört.

Es gibt aber eine Sache, die mich wirklich unglaublich aufregt. Bei der ich am liebsten grün anlaufen und mit Autos um mich werfen möchte. Bei der ich zur extremistischen, dummdreistnaiven, saatgutmenschigen Missionarin mutiere. Die Rede ist von Heuchlern.

Keiner mag Heuchler, keiner will mit einem Heuchler befreundet sein. Heuchler sind zum Beispiel diese unsympatischen Typen, die sich in der Flüchtlingsdebatte plötzlich große Sorgen um die Obdachlosen machen, deren Gelddosen sie sonst im Vorbeigehen immer ganz besorgt umkicken. Die sich über die Kriminalität einzelner Flüchtlinge empören und dann als Zeichen des Friedens die Unterkünfte duzender Unschuldiger anzünden. Die öffentlich Wasser predigen und heimlich Wein trinken.

Wobei; viele Heuchler machen sich ja nicht mal mehr die Mühe, ihren Wein heimlich zu trinken. Die schaffen es sogar, eine leidenschaftliche Hasstirade gegen einen Jäger loslassen, der einen berühmten Löwen aus Spaß tötete, während sie sich die Reste ihres leckeren 3€-Steaks aus den Zähnen pulen. Oder sich über Pelzträger aufzuregen, die Tiere nur wegen ihres Felles töten lassen, bevor sie genüsslich in ihren fetttriefenden BigMac beißen.

„Moment“, wird jetzt der ein oder andere von euch rufen, „es ist etwas anderes für Essen zu töten, als für eine Trophäe oder für Pelz. Wenn ich eine Trophäe will, kann ich auch Sportler werden und wenn ich einen Mantel will, kann ich auch einen aus Stoff nehmen.“ Dann werde ich ihn anlächeln und warten. Ich werde mir langsam ein Stück meiner gegrillten Gemüsefrikadelle abschneiden und es mir andächtig in den Mund schieben. Ich werde ihm die Zeit geben, die er braucht, während ich geduldig meinen Zaunpfahl hin und her schwinge.

Nein mal im Ernst, mich interessiert das wirklich. Warum kann man das Töten eines Tieres problemlos damit rechtfertigen, dass es gut schmeckt, nicht aber damit, dass sein Fell schön flauschig ist oder dass man sich seinen Kopf gerne an die Wohnzimmerwand hängen möchte? Gibt es Gemüse und andere fleischlosen Alternativen nur in ausgewählten deutschen Supermärkten? Glauben manche Leute, dass Vegetarier ihre Seele verkaufen müssen, um nicht an Nährstoffmangel zu krepieren? Hat euch keiner gesagt, dass der Mensch laut Wissenschaftlern und Ärzten auch ohne Fleisch gesund leben kann; dass Vegetarier ihren omnivoren Kollegen in Sachen gesunder Ernährung sogar meistens weit überlegen sind?

„Heuchler!“, höre ich es aus der letzten Reihe schreien, bevor ich eine Antwort auf meine Fragen bekomme. „Für dein Gemüse und dein Brot sterben doch auch Mäuse und Insekten!“ Auch wenn ich plötzlich das Verlangen verspüre, meinen Kopf in eine Betonwand zu rammen, so bin ich doch auch positiv überrascht und erstaunt. Immerhin wurde mir nicht vorgeworfen, dass ich beim Laufen Ameisen zertrete oder im Schlaf Spinnen esse. Trotzdem ärgere ich darüber, dass man mir offensichtlich wieder nicht zugehört hat. Wenn es dem Menschen möglich wäre, von Luft und Liebe zu leben und über Krabbeltiere hinwegzuschweben, würde ich das selbstredend machen. Wenn ich genug Platz und Zeit hätte, mein eigenes Gemüse anzubauen, mein eigenes Getreide zu ernten und mein eigenes Mehl zu mahlen, würde ich auch das nur zu gerne machen. Aber so ist es nun einmal nicht, ich brauche weiterhin pflanzliche Nährstoffe zum überleben und bin darauf angewiesen, dass mich die Gärtnerei meines Vertrauens mit Obst, Gemüse und Getreideprodukten beliefert. Die Morde, die durch mich verursacht werden, lassen mich durch meine Lebensumstände tatsächlich nicht vermeiden. Fleisch, das kein Mensch zum überleben braucht, ist da eine andere Sache.

Wie gesagt, ich will niemanden missionieren. Esst nur so viel Fleisch wie ihr wollt, egal ob das billige vom Discounter oder das teure Qualitätszeug aus Bio-Schweinen, die vor lauter Glück über ihre 2,3 qm Lauffläche aus eigener Kraft zur Leberwurst digitiert sind. Tragt meinetwegen auch Pelzmäntel und knallt in eurer Freizeit Hirsche ab, wenn es euch Spaß macht. Interessiert mich nicht. Wenn ihr der Ansicht seid, dass der Mensch das Recht hat, Tiere zu seinem Vergnügen zu töten, dann bin ich die Letzte, die sich aus Protest nackt an die Wursttheke im Aldi kettet, eure Lederjacken in Brand setzt oder sich vor eure Flinte wirft. Nein, das ist dann eure Meinung, die euch per Gesetz zusteht. Ich werde diese Meinung nie nachvollziehen können, ich werde sie nie gutheißen können. Aber ich werde auch nicht versuchen, euch krampfhaft zum Veganismus zu bekehren. Fleisch, Pelz, Leder oder Jagd – das bleibt ganz alleine euch überlassen.

Bitte tut mir aber den Gefallen und steht konsequent zu eurer Meinung. Verurteilt Jäger und Pelzträger nicht für etwas, dessen ihr euch jeden Tag selbst schuldig macht. Inszeniert euch nicht als mitfühlende Tierfreunde, wenn euch das Schicksal der Rinder, Schweinen und Hühnern auf eurem Teller vollkommen egal ist. Regt euch nicht über sinnloses Töten auf, wenn ihr nicht bereit seid auf Fleisch zu verzichten, nur weil es zufällig gut schmeckt. Alle Tiere sind gleich, Hunde, Katzen und Löwen sind nicht gleicher als andere.

Ein fleischessender Tierfreund befindet sich auf der Facepalm-Skala etwa auf der Stufe eines Menschenfreundes bei Pegida.